In Israel wird heute gewählt. Vor 20 Jahren, im Frühjahr 1999, als Bibi Netanjahu von den Wählern aus dem Amt gefegt wurde, erlebte ich in Israel den damaligen Wahlkampf aus nächster Nähe.

Nach drei von Krisen und Skandalen überschatteten Jahren im Amt des Regierungschefs hatte er im Mai 1999 die Wahl gegen Ehud Barak von der Arbeitspartei verloren. Nach der demütigenden Niederlage entschied sich der Politiker, den seine Gegner als gerissenen und gewissenlosen Taktiker darstellten, für eine Auszeit vom politischen Leben. Das ist lange her.

Zurück zu dem heutigen Urnengang.

Urgestein gegen Newcomer - Regierungsbildung hängt von den Kleinparteien ab

6,3 Millionen Israelis sind aufgerufen, ein neues Parlament zu wählen. Die Zusammensetzung der 21. Knesset wird bestimmt. Der Wahlsieger wird am späten Abend wohl feststehen – aber noch lange nicht, wer die nächste Regierung bildet, denn dieses hängt nicht von den zwei Groß-, sondern von den Kleinparteien ab.

Das Duell um Platz eins liefern einander die rechtskonservative Likud-Partei von Regierungschef Benjamin „Bibi“ Netanjahu und die Liste Kachol-Lavan (Blau-Weiß) des Newcomers und Ex-Generals Benjamin „Benny“ Gantz. Gantz ist Newcomer in der Politik. Dennoch ist es nicht ausgeschlossen, dass Gantz Netanjahu, der mittlerweile der am längsten dienende Ministerpräsident Israels ist und wegen Korruption in Kürze angeklagt wird, schlägt.

Netanjahu verspricht, jüdische Siedlungen im Westjordanland zu annektieren

In den letzten Umfragen stand der Likud um etwa drei Mandate hinter Kachol-Lavan. Basierend auf diesen Umständen geriet das Finale des ohnehin durch schwere gegenseitige Skandalvorwürfe dominierten Wahlkampfs besonders heftig. Netanjahu war sich sogar nicht zu billig, am Wochenende mit dem Versprechen, alle jüdischen Siedlungen im Westjordanland zu annektieren, Wähler zu ködern.

Gantz, der vor allem in der von Netanjahu verwaisten politische Mitte zu wildern versucht, sprach von einem „verantwortungslosen“ Versuch, Wählerstimmen zu werben. Es sei eine Schande, „mit Menschen so zu spielen“, und er sprach sich selbst gegen einseitige Schritte aus. Donald Trump versuchte seinem Freund Bibi Wahlkampfhilfe zu gewähren, indem er die Vorherrschaft Israels über den Golan zu manifestieren suchte.

41 Parteien am Start – Zersplitterung droht auch in Europa

41 Listen und Parteien treten an, wovon nach Einschätzungen von Analysten höchsten 13 eine realistische Chance auf den Einzug in die Knesset haben. Israel nimmt diesbezüglich eine Entwicklung vorweg, die auch in Europa an Dynamik gewinnt.

Gemeint ist nicht nur der Rechtsruck, der Niedergang der einst dominierenden Sozialdemokraten, sondern auch die Zersplitterung und Zerfaserung des Parteiensystems, flankiert von Neugründungen und wechselnden Koalitionen. Ausschlaggebend könnten die kleinen Parteien sein: In der jetzigen Knesset gibt es zehn Fraktionen.

Alle Parteien rechts des Likud stehen für Netanjahu als nächsten Regierungschef

Gewinnt das rechtsnationalistische Lager die Wahlen, so wird die jetzige Politik fortgeführt oder intensiviert – zumal Netanjahu wegen der Anklagen gegen ihn und des voraussichtlichen Erstarkens seiner rechtsradikalen Koalitionäre erpressbar sein wird, beispielsweise was die Einverleibung von Teilen der Westbank – die jüngst erfolgte US-amerikanischen Anerkennung der Annexion der Golanhöhen macht dieses Szenario sehr realistisch – oder die Vertiefung rechtsnationaler und mitunter messianischer Inhalte im gesamten Bildungssystem angeht.

Ob er die kommende Legislaturperiode in Gänze übersteht, hängt auch von der weiteren juristischen Entwicklung ab. Zweifelhaft ist zumindest, ob „Bibi“ eine Mehrheit für ein Gesetz zusammenbekommt, das den amtierenden Premierministern Immunität garantiert.

Allgemein lässt sich feststellen, dass alle Parteien rechts des Likud für Netanjahu als nächsten Regierungschef stehen.

Religiöse Parteien als Zünglein an der Waage

Moshe Feiglin, der vor allem sicherheitspolitisch weit rechts steht, gleichzeitig anarcho-kapitalistische Wirtschaftsvorstellungen hegt und sich mit dem Versprechen der Cannabis-Legalisierung bei urbanen Jungen beliebt machen zu versucht, hält sich aber alle Optionen offen.

Seine Gruppierung könnte sechs Mandate erlangen. Religiöse Parteien spielen häufig das Zünglein an der Waage, welche gelegentlich zu einer ausgewachsenen Zunge anwachsen.

Von großer Bedeutung ist das Abschneiden der arabischen Parteien, die etwa ein Fünftel des Elektorats vertreten. Im Gegensatz zu der letzten Wahl, treten sie nicht mit einer gemeinsamen Viererliste an.

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