Als „Wespentaille“ bezeichnet man den Großraum Tel Aviv, in Israel als „Gusch Dan“ geläufig, erstreckt sich die ausufernde Stadtlandschaft der Agglomeration von Tel-Aviv-Jaffa entlang der Mittelmeer-Küste in der Sharon-Ebene. Die Bezeichnung der Region als Wespentaille wird mit dem Blick auf die Landkarte ersichtlich, weil sich dieses Ballungszentrum in Nord-Süd-Ausdehnung zwar über etwa 50 Kilometer erstreckt, in der West-Ost-Tangente aber nur nach knapp 20 Kilometern auf die Westbank der Palästinensischen Autonomiebehörde stößt.

Es handelt sich also um die schmalste Ausdehnung des israelischen Staatsgebietes, welches in etwa der Größe des Bundeslandes Hessens entspricht. Legt man neben den geographischen Rahmenbedingungen noch die demographischen Fakten zugrunde, nämlich, dass sich in diesem Gebiet nicht nur über ein Drittel der israelischen Bevölkerung ballt, dass dort also das ökonomische und kulturelle Herz des Landes schlägt, wird schnell deutlich, weshalb diese strategische Ausgangslage für das israelische Militär ein permanentes Sicherheitsrisiko darstellt.

Der Fluch der Geographie

Als Israel 2007 unter dem rechten Hardliner Sharon den Gazastreifen räumte und die jüdischen Siedler teilweise durch Zwang evakuierte, erhoffte sich die israelische Regierung eine sogenannte Friedensdividende. Der Gazastreifen liegt nur 75 Kilometer von Tel Aviv entfernt, so gering sind dort die geographischen Ausdehnungen.

Das israelische Militär, welches natürlich über eine erdrückende Übermacht an modernster Ausrüstung verfügt, vor allem gegenüber dem Potential der Hamas, welche in Gaza regiert, bereitet sich aber schon seit Langem auf das Albtraum-Szenario vor, dass Raketen die Region Tel Aviv und andere Großstädte erreichen könnten, was neben der viel größeren Bedrohung aus dem Süd-Libanon, wo die Hisbollah über ein weit höhere ballistische Kompetenz verfügt als die Palästinenser - und schon jetzt Tel Aviv mit modernsten Raketen angreifen könnte - eine zusätzliche strategische Belastung darstellt.

Tote auf beiden Seiten

Durch die bisher schwersten Raketenangriffe auf Israels Küstenmetropole Tel Aviv seit Beginn des aktuellen Konflikts wurden mindestens drei Menschen getötet. Nach Angaben israelischer Behörden starb am Dienstagabend eine Frau in der Stadt Rischon LeZion, welche ein Vorort von Tel Aviv ist, bei einem direkten Einschlag.

Wie die Polizei Mittwochfrüh mitteilte, wurden dann in Lod bei Tel Aviv ein Mann und eine Teenagerin getötet. In Jehud, ebenfalls im Großraum Tel Aviv, wurde ein Haus direkt getroffen. Eine weitere Rakete traf zudem in Cholon, ebenfalls im Süden Tel Avivs, einen Autobus, der in Flammen aufging. Dabei wurden mehrere Menschen verletzt. In der bereits tagsüber besonders schwer beschossenen Küstenstadt Aschkelon waren nach Angaben der israelischen Polizei bereits Stunden zuvor zwei Frauen bei Raketenangriffen getötet worden.

Vergeltungsschläge gegen Gaza

Die israelische Luftwaffe reagierte wie üblich mit einem massiven Bombardement des Gazastreifens. Dutzenden Tote, darunter viele Zivilisten, kamen ums Leben. Der Blutzoll, den die Bewohner von Gaza zu entrichten haben, ist viel höher, bei allem Respekt vor jedem individuellem Leid - so war es auch in den vergangenen militärischen Eskalationen.

Trotz der totalen ökonomischen Isolation Gazas, die einer ökonomischen Strangulation gleicht und der Hamas ebenso in die Hände spielt wie das Blutvergießen, gelang es von dort 130 Raketen in das israelische Kernland abzuschießen, vor allem auf den Großraum Tel Aviv. Die Hamas werde keinen Rückzieher machen, sagte ein Sprecher der militanten Islamisten im Gazastreifen.

Wenn Israel zuschlägt, schlägt der bewaffnete Widerstand zurück.“

Die israelische Armee teilte in der Nacht mit, sie habe in den vergangenen Stunden „eine Reihe wichtiger Terrorziele und Terroraktivisten im Gazastreifen getroffen“. Das Gesundheitsministerium meldete 35 Tote in Gaza, darunter zwölf Kinder und drei Frauen. 233 Menschen seien verletzt worden. Örtlichen Medien und Augenzeugen wiesen allerdings darauf hin, dass einige Kinder durch israelische Luftangriffe getötet, andere durch fehlgeleitete Raketen der Hamas und der militanten Organisation Islamischer Dschihad. Israelische Stellen betonten, das mindestens 20 Mitglieder der Hamas und des Islamischen Dschihad getötet wurden, darunter hochrangige Vertreter.

Unruhen in ganz Israel – Forderung nach Ausgangssperren

Aufgrund der Bedrohung wurde der internationale Flughafen Ben Gurion für Landungen und Abflüge geschlossen. Der Flughafen Ben Gurion liegt in unmittelbarer Nachbarschaft der israelischen Stadt Lod, deren arabischer Bevölkerungsanteil bei knapp 20 % liegt.

In Lod kam es in den vergangenen Stunden zu schweren Ausschreitungen, was die israelische Sicherheitslage noch prekärer erscheinen lässt. Die arabischen Israelis, welche überwiegend die israelische Staatsbürgerschaft besitzen, leben zwar vor allem im Norden des Landes, aber auch in zentralen Städten wie Lod.

Während in den militärischen Konflikten der jüngeren Vergangenheit dieser Bevölkerungsanteil eher ruhig blieb, kommt es aktuell im ganzen Land zu Unruhen. Der Bürgermeister von Lod sprach im Fernsehen von einem „Bürgerkrieg“ in seiner Stadt und forderte eine Ausgangssperre. Zahlreiche Polizeitruppen wurden in die Stadt geschickt. Auch in den arabisch geprägten Orten Akko im Norden des Landes und in Jaffa bei Tel Aviv kam es zu schweren Auseinandersetzungen.

Die Ursachen für den aktuellen Konflikt

Die Ursachen für die aktuelle Gewaltspirale liegen in den Ereignissen der letzten Tage begründet. In Ost-Jerusalem begannen die Spannungen Mitte April zu wachsen. Am 7. Mai kam es zu Zusammenstößen zwischen der israelischen Grenzpolizei und Palästinensern in der Nähe des Tempelbergs (ein Platz im südöstlichen Teil der Altstadt Jerusalems, auf dem sich das drittheiligste Heiligtum des Islams, die al-Aqsa-Moschee, befindet) und im Stadtteil Sheikh Jarrah, wo Sicherheitskräfte auf der Grundlage eines israelischen Gerichtsbeschlusses die Räumung mehrerer Häuser arabischer Familien vollzogen.

Gemäß israelischem Recht können jüdische Israelis vor Gericht Besitzanspruch auf Häuser in Ostjerusalem anmelden, wenn ihre Vorfahren vor dem arabisch-israelischen Krieg (1948/49) dort im Besitz von Grundstücken waren. Für Palästinenser, die ihr Eigentum ebenfalls infolge des Krieges verloren haben, gibt es aber kein vergleichbares Gesetz.

Sollten die Unruhen auch auf das Westjordanland übergreifen, könnte das die dortige Herrschaft der Fatah gefährden, die sich mit der Hamas im Gaza in einem Konflikt befindet. Vor allem würde sich dadurch die Situation für die Bevölkerung in ganz Israel und den besetzten Gebieten verschärfen.

Israels Recht auf Selbstverteidigung

Während die westliche Staatengemeinschaft Israel ein Recht auf Selbstverteidigung einräumt, angesichts der Raketenangriffe aus dem Gazastreifen, dabei aber die Frage nicht beantwortet, ob dann nach dieser Logik die syrische Armee Israel auch beschießen darf, denn von dort werden regelmäßig Militärschläge auf Syrien vollzogen, erklärte das russische Außenministerium, dass die zunehmenden Spannungen durch die Vertreibung arabischer Bewohner aus ihrem angestammten Wohnort – dem Gebiet Sheikh Jarrah – und durch die Förderung von Plänen zum Bau von 540 Häusern für Siedler in der Siedlung Har Choma und durch die Tötung von zwei Palästinensern an einem Kontrollpunkt in der Nähe der Stadt Jenin angeheizt wurden.

Moskau wiederholte seine „prinzipielle und konsequente Position“ zum Vorgehen Israels und betrachtet die Enteignung von Land und Eigentum sowie die Errichtung von Siedlungen in den besetzten palästinensischen Gebieten, einschließlich Ost-Jerusalem, als Maßnahmen ohne rechtliche Wirkung.

Der Konflikt ist im Endeffekt unlösbar. Ein vollständig unabhängiger Staat Palästina wäre ein Sicherheitsrisiko für Israel und umgekehrt. Ausschlaggebend sind hierfür die Bevölkerungsentwicklung und die Religiosität, wohlbemerkt auf beiden Seiten. Eine Konföderation wäre der einzige Ausweg, doch dieser ist durch ideologische Trümmerberge versperrt. Daher wird weiter Blut fließen, in dieser Region, die wahrlich ein riesiges Potential hätte um die Levante, wo einst der Name Europa erfunden wurde, wieder zum Blühen zu bringen.

"Was bedeutet das konkret für mich!?"

Für Premierminister Netanjahu bedeutet der aktuelle Konflikt das Scheitern seines strategischen Entwurfs, welcher in der westlichen Presse unkritisch und unwissend bejubelt wurde. Innenpolitisch ist seine Annäherung an die arabischen Parteien gescheitert.

Aber auch international haben die reaktionären arabischen Golfmonarchien, mit denen die Regierung Israels noch vor kurzem diplomatische Beziehungen aufnahm, obwohl diese eher beidseitig auf merkantilen Interessen beruhten, das Vorgehen der israelischen Regierung gerügt. Man muss schon auf die israelische Presse zurückgreifen, um ein etwas differenziertes Bild zu erlangen, welches in der hiesigen Medienlandschaft zu selten zu finden ist.

In der linksliberalen israelischen Tageszeitung Haaretz (Das Land) war gestern in einem Artikel zu lesen

"At some points during the long and tense Jerusalem Day on Monday, it seemed that the Israel-Palestine conflict is now being fought by teenagers, on both sides of the divided city"

Übersetzung d. Red.: „"Während des langen und angespannten Jerusalem-Tages am Montag schien es an einigen Stellen, als würde der israelisch-palästinensische Konflikt nun von Jugendlichen ausgetragen, auf beiden Seiten der geteilten Stadt"

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