Benjamin Netanjahu wird in Kürze an die Schaltstellen der Macht in Israel zurückkehren. Ein guter Grund, um im heutigen Bericht einen Blick auf die sich aktuell darstellende Situation im Nahen Osten zu werfen.

Nachdem es im laufenden Jahr glücklicherweise zu einer Einigung zwischen dem Libanon und Israel um den Seegrenzverlauf zwischen den beiden Mittelmeeranrainern gekommen war, scheint die Gefahr einer kriegerischen Eskalation zwischen der israelischen Armee Zahal und der schiitischen Hisbollah-Miliz im Südlibanon fürs Erste gebannt.

Größte Hardliner-Regierung seit Bestehen des Landes

Der unmittelbare Ausblick auf die politische Machtübernahme durch das Netanjahu-Kabinett lässt jedoch selbst israelische Medien von der größten Hardliner-Regierung seit Bestehen des Landes sprechen.

Diese Entwicklung verheißt aus israelischer Sicht nichts Gutes in zweierlei Dingen. Einerseits droht der Palästinenser-Konflikt über den Gaza-Streifen hinaus auch auf das Westjordanland überzugreifen. Eine neue Palästinenser-Intifada könnte die Region im Jahr 2023 und darüber hinaus erschüttern.

Andererseits zeichnet sich eine Intensivierung des außenpolitischen Konflikts zwischen dem Iran und Israel ab, in den dann unter aller Voraussicht auch die libanesische Hisbollah-Miliz mit einbezogen würde.

Vor der im laufenden Jahr getroffenen Vereinbarung zwischen Tel Aviv und Beirut über den zukünftigen Seegrenzverlauf zwischen beiden Nationen, hatte die Hisbollah-Miliz wiederholt davor gewarnt, israelische Offshore-Gasförderanlagen mittels eines Raketenbeschusses dem Erdboden gleichmachen zu wollen.

Eine potenzielle Eskalation dieser Art würde sehr wahrscheinlich ein weiteres Mal auf dem Tisch liegen, falls es zwischen Israel und dem Iran zu militärischen Auseinandersetzungen über die fortlaufende Uran-Anreicherung der Teheraner Regierung kommen sollte.

Saudi-Arabien zwischen allen Stühlen

Zünglein an der Waage bildet in der Region das wahhabitische Königreich Saudi-Arabien, das sich einerseits als größter Widersacher und politisch-wirtschaftlicher Rivale des Irans erweist, und aus diesem Grund gemeinsame außenpolitische Interessen mit Israel teilt.

Andererseits dürfte die Siedlungs- und Annexionspolitik der Israelis im Westjordanland den Saudis ein großer Dorn im Auge sein. In diesem Hinblick erweist sich Riad als Unterstützer der Anliegen der Palästinenser.

Wie schon mehrfach zuvor werden an dieser Stelle also Erinnerungen an Charles de Gaulle wach, der einst erklärte, mit einfachen Ansichten in den komplizierten Orient gereist zu sein. Die Gemengelage und Situation im Nahen und Mittleren Osten ist dynamisch und kann sich jederzeit schnell verändern.

Wechselnde Allianzen in dieser Weltregion sind aus dem Blickwinkel der Historie keine Ausnahme, sondern eher die Regel, ganz darauf ausgerichtet, welchen aktuell bestehenden Interessenlagen das eigene (opportune) Agieren gerecht wird.

„Bibbi“ ist zurück an der Macht!

Jetzt, da Benjamin Netanjahu und dessen Ministerrunde am heutigen Tag in ihrer Staatsämter eingeschworen werden sollen, wird es wohl zur Bildung der politisch rechts ausgerichteten und größten Hardliner-Regierung in der Geschichte Israels kommen.

Schon vor der politischen Amtsübernahme des Kabinetts Netanjahu war klar, dass es ein Hauptanliegen der neuen israelischen Regierung sein wird, die eigene Siedlungspolitik im Westjordanland zu expandieren.

Wie es im inzwischen veröffentlichten Strategieprogramm der Likud-Partei heißt, steht eine Expansion der Landnahme und Besiedlung in allen Regionen Israels mit ganz oben auf der Prioritätenliste der neuen Regierung. 

Dies betrifft neben dem klassischen Westjordanland auch den Negev und die Golanhöhen. Es steht außer Frage, dass die Netanjahu-Regierung mit dem Ziel des eigenen Siedlungsausbaus in ihrer bevorstehenden Amtszeit mehr Land in jenen zwischen Israelis und Palästinensern umstrittenen Gebieten annektieren wird.

Sowohl die Vereinigten Staaten von Amerika als auch eine große Nationenmehrheit innerhalb der Vereinten Nationen in New York lehnen eine solche auf Landnahme und Expansion im Westjordanland ausgerichtete Politik der israelischen Regierung ab.

Jemand muss kein Prophet sein, um zu erkennen, dass in der Verfolgung einer solchen Strategie der Keim für ein Wiederaufflammen von massiven Konflikten in der Region wohnt. Nicht nur die außenpolitischen Beziehungen zwischen Amerikas Biden-Administration und Israel, sondern auch zwischen Tel Aviv und Riad könnten sich über eine solche Entwicklung deutlich verschlechtern.

Ultra-linke Fraktion erschwert Joe Biden das außenpolitische Manövrieren

Erinnert sei daran, dass es Joe Biden schwer fällt, den durch Alexandria Ocasio-Cortez (AOC) verkörperten ultra-linken Parteiflügel der Demokraten in Fragen dieser Art zu kontrollieren und zur Räson zu bringen.

Ähnlich wie der saudische Kronprinz Mohamed bin Salman durch diesen Parteiflügel offen verteufelt wird, setzen sich sogenannte Squad-Abgeordnete der Demokraten auch für die Belange der Palästinenser samt eines Ausgleichs der politisch-wirtschaftlichen Interessen zwischen Israelis und Palästinensern in der immerfort brodelnden Region ein.

Joe Biden und dem Weißen Haus scheinen aus diesem Grund die eigenen Hände auf eine immer stärkere Weise gebunden. Denn Joe Biden fällt es seit dessen Amtsübernahme im Januar 2021 augenscheinlich schwer, die Interessen der verschiedenen Flügel in seiner Partei (insbesondere zwischen den Ultra-Linken und den Gemäßigten) unter einen Hut zu bringen und miteinander zu versöhnen.

Dass diese parteiinternen Flügelkämpfe in außenpolitische Entscheidungen der US-Regierung hineinwirken, verwundert kaum. Wie dem auch sei, so warnen Experten und Kommentatoren bereits vor sich möglicherweise deutlich verschlechternden Beziehungen zwischen der neuen israelischen Regierung und den USA.

Westjordanland rückt in den Fokus

Auch in den zukünftigen Beziehungen Israels zur Europäischen Union könnte schon bald ein sich ausweitender Schatten liegen. Denn bereits zum aktuellen Zeitpunkt siedeln mehr als eine halbe Million Israelis in mehreren Dutzend neu errichteten Siedlungen im Westjordanland – eine Entwicklung, die durch eine zunehmende Anzahl von Brüsseler Repräsentanten als „illegal“ bezeichnet wird.

Bereits in der jüngeren Vergangenheit ist es zwischen diesen neuen israelischen Siedlern und den 2,5 Millionen in der Region lebenden Palästinensern zu gewalttätigen Zusammenstößen gekommen.

Auf eine Karte blickend, gleicht das Westjordanland inzwischen einem „Leopardenfell“, das sich anhand eines anhaltenden Vorstoßes von neuen israelischen Siedlungen in diese Region hinein ableitet.

Erkennbar wird, dass die Palästinenser aufgrund dieses sich fortsetzenden Vordringens bereits einer ganzen Reihe von Restriktionen unterliegen. Hierzu gehört allen voran die individuelle Bewegungsfreiheit.

So unterhalten Einheiten von Zahal schon seit einiger Zeit eine Vielzahl an Kontrollpunkten im Westjordanland. Diese Kontrollpunkte hängen in erster Linie von der geografischen Nähe neuer israelischer Siedlungen im Westjordanland ab.

Einheimische Palästinenser werden auf diese Weise aufgrund von Sicherheitsanforderungen und zum Schutz dieser neuen israelischen Siedlungen allerdings in ihrer Bewegungs- und Reisefreiheit beschnitten.

Bereits bestehende Konflikte und gewaltsame Auseinandersetzungen mit den Polizeikräften vor Ort könnten laut Kommentatoren unter der (alten) neuen Regierung Netanjahu in eine neue Palästinenser-Intifada münden.

Erschwert wird die Situation vor Ort, da eine Reihe von Kabinettsmitgliedern der neu ins Amt kommenden israelischen Regierung selbst über Heimstätten in „illegalen“ Siedlungen im Westjordanland verfügen.

Zudem wird sich Benjamin Netanjahus Regierung neben seinem eigenen Likud-Block aus den religiösesten Parteien des Landes, darunter die Ultra-Orthodoxen sowie äußerst rechtslastige Splitterparteien, zusammensetzen.

Die Repräsentanten einer dieser Splitterparteien, namentlich die ultrareligiöse Zionismus-Partei, erweisen sich aus politischer Perspektive auch als ultranationalistische Befürworter einer Expansion des Siedlungsbaus im Westjordanland.

Ein großer Konflikt mit dem Iran wirft seine Schatten voraus

Innenpolitisch werfen neue Auseinandersetzungen und Konflikte deshalb ihre Schatten im Heiligen Land voraus. Noch bedenklicher stimmt, dass Benjamin Netanjahu in der laufenden Woche einen bekannten „Iran-Falken“ zum Vorsitzenden seines Nationalen Sicherheitsrats berufen hat.

Im Fall von Tzachi Hanegbi handelt es sich um einen langjährigen Likud-Abgeordneten und langfristigen Verbündeten von Benjamin Netanjahu. Tzachi Hanegbi hatte bereits in den vergangenen Jahren wiederholt mit einem militärischen Angriff auf den Iran gedroht, falls die Vereinigten Staaten von Amerika das unilateral durch die Trump-Regierung aufgekündigte Nuklearabkommen mit dem Iran (JCPOA) wieder Instand setzen sollten.

Doch danach sieht es momentan nicht aus, nachdem Joe Biden zuletzt laut eigener Aussage auf ein endgültiges Scheitern der Verhandlungen über eine Wiederinstandsetzung von JCPOA hinwies.

In Israel werden diese Aussagen auf offene Ohren und fruchtbaren Boden gefallen sein. Ohnehin war über den Verlauf des letzten Jahres nicht der Eindruck entstanden, als ob die amerikanische Führung es wirklich ernst mit einer Wiederinstandsetzung des Abkommens meinen würde.

Egal, wie die Dinge aktuell auch liegen mögen, so scharren die Hardliner in der neuen Netanjahu-Regierung bereits mit ihren Hufen. So teilte Tzachi Hanegbi beispielsweise unlängst mit, dass Israel auch ohne die Einwilligung oder Unterstützung der Vereinigten Staaten von Amerika zu militärischen Mitteln gegen den Iran greifen werde, falls dies aus eigener Sicht notwendig werden sollte.

Die Teheraner Regierung hatte hierauf unter anderem mittels einer Präsentation der Vergeltung im heimischen Staatsfernsehen reagiert. Darin ist zu sehen, wie es in einer ersten (simulierten) Raketenangriffswelle zu einer vollumfänglichen Zerstörung des israelischen Atomsilos Dimona und anschließend zu einer Ausradierung von Tel Aviv kommen würde.

Nichtsdestotrotz machte Tzachi Hanegbi, ehedem Siedlungsminister des Landes, darauf aufmerksam, dass eine Unterbindung der Uran-Anreicherung im Iran auf der Prioritätenliste der Israelis mit ganz oben stünde.

Schon im Jahr 2020 warnte Tzachi Hanegbi die Amerikaner davor, dass es im Falle eines Wahlsiegs von Joe Biden und einer damit verbundenen Wiederinstandsetzung von JCPOA zum Ausbruch eines Krieges zwischen seinem Land und dem Iran kommen könnte.

Auch nach der Wahl und Amtsübernahme durch Joe Biden und dessen Administration wurde diese Drohung erneuert. Jetzt, da sich auch die politisch-wirtschaftlichen Spannungen zwischen der Teheraner Regierung und Washington abermals verschärft haben, könnten Pläne dieser Art in eine heiße Phase eintreten.

Denn seit dem offiziellen Scheitern der Verhandlungen über eine Wiederinstandsetzung von JCPOA vor wenigen Monaten haben die Vereinigten Staaten von Amerika ihre Sanktionen gegenüber dem Iran wieder spürbar ausgeweitet.

Trotz allem folgte kürzlich ein Eingeständnis des amerikanischen Verteidigungsministeriums, laut dem sich der Iran nicht am Bau einer Atombombe versuche. Nichtsdestotrotz halten die medialen Warnungen und Drohungen gegenüber Teheran durch amerikanische und israelische Offizielle an.

Während die Teheraner Regierung ihr Bekenntnis an den Tag legt, sich in einem verstärkten Ausmaß in neue entstehende Allianzbündnisse mit der Russischen Föderation und China einzugliedern, bleibt abzuwarten, wie stark der politische Zusammenhalt zwischen den USA und Israel tatsächlich sein wird, falls Tel Aviv tatsächlich so töricht sein sollte, um gegen den Iran militärisch loszuschlagen.

Diese Zusammenfassung für CK*Wirtschaftsfacts von Roman Baudzus nimmt Bezug auf einen Bericht auf der Seite antiwar.com.

„Was heißt das für mich konkret!?“ (Roman Baudzus)

Zum Abschluss dieses Jahres zeigt sich, dass alle Ecken und Winkel unserer Gesellschaften mehr und mehr durch die verstärkt an die Oberfläche durchdringende Geopolitik bestimmt werden.

Auch an den Börsen wird diese Entwicklung in den nächsten Jahren spürbar und zu einem dominanten Anlagefaktor avancieren. Denn unsere Welt befindet sich in einer Transformations- und Umbruchphase, die bestenfalls durch neue Blockbildungen und schlimmstenfalls durch Kriege begleitet werden dürfte.

Es empfiehlt sich aus diesem Grunde, die sich abzeichnenden Entwicklungen in diesem Bereich nicht aus den Augen zu verlieren. Ganz im Gegenteil sollten diese Entwicklungen aus anlagetechnischen Gesichtspunkten in jede Investmententscheidung mit einbezogen werden.

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